Vorwärts in die Vergangenheit statt zurück in die Zukunft? Die Möglichkeit des elektronischen Signierens ist seit dem 1. August 2001 gesetzlich vorgesehen. Seit dem 01. Januar 2022 müssen* Rechtsanwälte Klagen elektronisch „unterschrieben“ bei Gericht einreichen. Eine grundlegende Einordnung und praktische Vorschläge. (Mit Klarstellungen vom 11. Januar und 14. Februar 2023.)
Die rechtswissenschaftliche Diskussion um die digitale Unterschrift ist von Fragen um die Nutzungspflicht am besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) nach § 130d ZPO geprägt. Eine rote Linie zieht sich durch die deutsche Diskussion: Deutschland muss digital. Viele Antworten lauten daher: Pflicht! Eine grundlegende Analyse von Kommunikation führt hingegen zu den Antworten: Qualität. Innovation!
Eine Entwicklungsgeschichtliche Einordnung
Man unterschreibt eine Nachricht an einen anderen Menschen, damit klar ist, von wem die Nachricht ist.
Von einem Umschlag geschützt ist eine Nachricht ein Brief, also Post. Wenn als Postboten Elektronen und Lichtblitze auf den Übermittlungswegen Kupferkabel oder Glasfaserlichtleiter eingesetzt werden, ist es Telekommunikation.
Soweit, so selbstverständlich. Diese Einordnung bleibt wichtig für Fragen von Zuständigkeit (in der Gesellschaft) bis hin zum Qualitätsmaß.
beA als Innovation in Sachen Telekommunikation und Schreibwaren
Die Schriftform (§ 126 BGB) findet im Internet ihr Äquivalent in § 126a BGB. Für den Zivilprozess finden die entsprechenden Regelungen sich in §§ 253, 130 bis 130d ZPO. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein.
Die Rechtsanwaltschaft verfügt über ein entsprechendes elektronisches Postfachsystem für Schriftnachrichten: das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).
beA als besserer Stift?
Alle Formvorschriften – so auch § 126a BGB – haben jedenfalls die Zwecke Warnfunktion und Beweisfunktion. Die Parteien sollen sich der Bedeutung des Geschäfts bewusst werden. Zur Geltendmachung von Forderungen aus dem Vertrag soll die Person des Unterzeichnenden durch die eigenhändige Unterschrift (beziehungswiese im Rahmen des § 126a durch eigenhändige Signaturhandlung) nachvollziehbar sein. Bei §§ 253, 130 bis 130d ZPO geht es nur um Echtheitsverifikation.
Die Signierungsdatei befindet sich auf der Chipkarte. Die persönliche Eingabe einer PIN erfolgt eigenhändig.
Die Technik hinter beA ist nicht neu. Die Chipkartentechnologie stand bei Einführung des § 126a BGB bereits zur Verfügung. Sie wurde schon um das Jahr 2000 beispielsweise von Steuerberatern für die Kommunikation mit ihren Mandanten eingesetzt. Die Wirtschaft hat sich schon seinerzeit selber entwickelt, wozu ein Bedürfnis bestand.
Signatursoftware hat geringen Speicherbedarf und passt auf alle gängigen Chipkarten. Entsprechende Chips befinden sich heute beispielsweise auf Personalausweisen oder Bankkarten. Technisch ist es heute grundsätzlich möglich, mehrere unterschiedliche Signaturanwendungen auf einer Karte zu speichern.
Die Signaturtechnologie auf Datenträgern geringer körperlicher Größe (beispielsweise Chipkarten) ist bekannt und altbewährt. Sie kann in die gängigen E-Mail-Postfächer integriert werden. Praktisch wäre ein AddOn für Thunderbird und andere gängige Browser (oder gar im Schreibprogramm), mit dem man E-Mails signieren kann. Nächster (Teil-)Schritt wären Dateien, die die eigenhändige Unterschrift gemäß der Schriftform des § 126 BGB dokumentieren. Entsprechende „Echtzeit“-Displays sind noch in Entwicklung.
In entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht ist die Signaturtechnologie auf Chip unfertig. Sie ist nicht der (vollständige) Entwicklungsschritt. Die Unterschrift auf Papier dauert keine Sekunde. Die Kosten für elektronisches unterschreiben sind insgesamt noch höher. Von Stift und Papier sind elektronische Signaturen weit entfernt.
§ 126a BGB und auch Signatur mit anderen Mitteln als der bloßen Hand sind nur eine technische Notlösung, bis elektronisches Papier (also entsprechend hochauflösende Bilddateien angezeigt auf Displays wie eInk und ohne zeitlich mit dem menschlichen Auge wahrnehmbare Verzögerungen) verfügbar ist.
In der Kategogie „Unterschrift“ sind § 126a BGB und beA also nicht fertig. Sobald diese Technik vorliegt, sind § 126a BGB und beA obsolet.
Update 11. Januar 2023: Neue eInk Schreibblöcke
Elektronische Schreibblöcke wie der reMarkable (https://remarkable.com/store/remarkable-2) kommen aktuellen Presseberichten zufolge Schreiben auf Papier schon fast gleich. Entsprechende technische Komponenten für Geräte, auf denen Dokumente im A4-Format zur Unterschrift vorgelegt werden können, sind also in Sicht.
beA als schnellerer Brief.
Der Übmittlungsvorgang selbst funktioniert in Lichtgeschwindigkeit. Post- und Bürohilfskräfte sind einerseits durch elektronische Arbeitsschemen (Ausführungsdateien und „Bots“) und andererseits Elektronen und Lichtblitze ersetzt. Die Innovationsmacht Wirtschaft auf einem freien Markt ist hier schon lange fertig. Eigentlich macht Wirtschaft Produkte – weil sie Innovation kann.
Rechtlich ist elektronische Übermittlung ohne Nachteil. Das dem Postgeheimnis entsprechende Fernmeldegeheimnis und das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung sind verbürgt und selbstverständlich. Die Verfassungen gewährleisten diese Grundrechte. Die einfachen Gesetze haben dem zu folgen. Schnüffeln ist damit wirksam untersagt. Wer Angst vor bösen Mädels und Buben hat: Schwere Straftaten können nach der StPO und nach richterlicher Anordnung mit Wirkung für die Zukunft verfolgt werden.
beA als Briefkasten
In Sachen Allgemeinheit und Reichweite sind die Postfächer der Juristen (die Justiz und die Behörden haben eigene dem beA entsprechende Telekommunikationssysteme) begrenzt. Elektronische Post funktioniert eigentlich erst richtig, wenn alle ein entsprechendes Postfach haben.
Fazit
Innovation wird eigentlich in der Wirtschaft gemacht. Telekommunikation machen eigentlich die Telekommunikationsunternehmen. Briefe in Lichtgeschwindigkeit gibt es seit der E-Mail-Technologie. Um überzeugend zu sein, ist E-Mail genau so frei von laufenden Kosten wie ein Briefkasten. Das war ein erfolgreicher Entwicklungsschritt.
Dass der Rechtsverkehr Bedürfnis und Bedarf an elektronischer Unterschrift hat, ist mit der Einführung des § 126a BGB zum 01. August 2001 sogar statuiert. Die Vorschriften zum beA muten teilweise wie technische Anforderungen zu § 126a BGB an. Die Rechtsfragen, die die Gerichte zum beA klären, sind vielfach auch Antworten zu § 126a BGB. Die Ergebnisse stimmen vielfach mit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, beispielsweise zur Abgabe und zum Zugang von Willenserklärungen, überein.
* (selbstverständlich) vorbehaltlich der Verfassungskonformität. Es kann einem Anwalt wohl zugemutet werden, eine Durschrift einer ohnehin digital vorhandenen Klageschrift nachzureichen. Ferner sollte beA die Möglichkeit schaffen, digitale Beweismittel auch mittels Telekommunikation einzureichen – statt nur per Post auf körperlichem Datenträger. Darum ging es bei der Idee des beA und dies ist sein Zweck.