Was ist eigentlich Kunst? Was ist eigentlich Freiheit? Das Bundesverfassungsgericht erklärt es Ihnen auf faszinierende Art und Weise.
Die Geschichte
Der beklagte Fotograf veröffentlichte eine Straßenszene „auf einer großformatigen Stelltafel an einer der verkehrsreichsten Straßen einer Millionenstadt“ (Rn. 24). „Im Mittelpunkt der Aufnahme steht die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin). Sie hält eine Handtasche in der einen sowie Plastiktüten in der anderen Hand und überquert an einer Ampel die Straße. Sie trägt ein Kleid mit Schlangenmuster, ihr Körper nimmt etwa ein Drittel des Bildes ein. Die Klägerin scheint in Richtung der Kamera zu blicken, ihr Gesicht ist gut erkennbar […]“ (Rn. 2) Die Klägerin wandte sich gegen die Veröffentlichung: „Ihr Bildnis sei über Wochen überlebensgroß an einer vielbefahrenen Straße der Öffentlichkeit präsentiert und sie so aus ihrer Anonymität gerissen worden. Es sei auch nicht auszuschließen, dass im Bekanntenkreis der Klägerin der Eindruck habe entstehen können, sie habe sich gegen Bezahlung fotografieren lassen.“ (Rn. 4)
Nachdem der Beklagte bereits außergerichtlich eine strafbewährte Unterlassungserklärung abgab, hat das Landgericht ihn verurteilt, der Klägerin entstandene Anwaltskosten zu zahlen: „Das Foto sei nicht im Rahmen einer Ausstellung als eines unter vielen, sondern großformatig, die gesamte Fläche einer Stelltafel einnehmend an einer der verkehrsreichsten Straßen der Stadt zur Straße gewandt präsentiert worden.“ (Rn. 5) Die darüber hinausgehende Klage auf Lizenzschadensersatz wies es ab. Das Kammergericht hat die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Die Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des Beklagten nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht stellt aber unmissverständlich die Bedeutung der Kunstfreiheit heraus:
„Von der Kunstfreiheit ist nicht nur das Anfertigen der Fotografie, sondern auch deren Zurschaustellung im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Ausstellung erfasst.“ (Rn. 14)
„Dabei gibt das Grundgesetz den Zivilgerichten regelmäßig keine bestimmte Entscheidung vor. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet.“ (Rn. 17)
„Das Kammergericht hat die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit bei der Zuordnung des Bildnisses zum Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG und in das Ergebnis seiner Abwägung im Rahmen von § 23 Abs. 2 KUG einbezogen (vgl. BVerfGE 120, 180 <223>) und ist dabei auch den Eigengesetzlichkeiten der Straßenfotografie gerecht geworden. […] Damit hat das Kammergericht die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung, welche strukturtypisch für die Straßenfotografie ist (vgl. Hildebrand, ZUM 2016, S. 305 <309,311f.>), nicht generell unmöglich gemacht.“ (Rn. 24)
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 1 BvR 2112/15 – www.Bundesverfassungsgericht.de)
Ein paar Gedanken zur Entscheidung
Die Entscheidungen des Landgerichts und des Kammergerichts zeichnen sich durch eine sorgfältige Abwägung anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus. Das Ergebnis ist vertretbar begründet. Weder Akte noch Prozessverlauf im Einzelnen sind hier bekannt. Aus taktischer Perspektive fällt auf, dass der Beklagte möglicherweise schon erstinstanzlich Verteidigungsmöglichkeiten nicht erkannt hat.
Das Bundesverfassungsgericht respektiert die spezifischen prozessualen Grundsätze des Zivilverfahrens, insbesondere die Dispositionsmaxime der Parteien, und die sorgfältige Arbeit der Instanzgerichte. Das Gericht deutet an, dass eine andere Entscheidung vielleicht möglich gewesen wäre, aber nicht geboten ist.
Das Bundesverfassungsgericht gewährt Freiheit, indem es den Künstlern ihre Spielräume belässt. Und eben das ist eine gewichtiger Aspekt der Freiheit – die Anderen Sein zu lassen. Eine weise Entscheidung.
Ideen für betroffene Fotografen und Kreative
Lassen Sie sich frühzeitig rechtsanwaltlich beraten. Grundsätzlich gilt: Je früher Sie sich beraten lassen, desto besser kann Ihnen geholfen werden.
Streitentscheidende Normen
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen, Art. 97 Abs. 1 GG.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1. Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG.