Meinungsfreiheit ohne Gewalt

Meinungen sind nicht wahr oder falsch. Die Frage ist nicht, was man sagen darf. Meinungsfreiheit misst erst einmal nicht, ob ein Inhalt zulässig ist oder ob man einen Inhalt verbieten oder löschen darf. Der Grundsatz ist die freie Rede. Die richtige Antwort auf eine Meinung, die man nicht teilt, ist der Widerspruch.

Mindeststandards an eine Diskussion wie Freiheit von Beleidigungen, Beschimpfungen oder Bedrohungen sind selbstverständlich. Wenn ein Inhalt eine strafbare Beleidigung enthält, ordnet das zuständige Zivilgericht die Löschung oder gar Unterlassung der Äußerung an. Ziel einer Diskussion ist nicht, dass der Lauteste siegt, sondern die mit wahren Inhalten überzeugende Meinung durchdringt.

Auch neue Entscheidungen der Gerichte sind insoweit in der Öffentlichkeit fehlinterpretiert worden. Es gelten nach wie vor die gleichen Grundsätze, vorliegend insbesondere: Meinungsfreiheit, in dubio pro reo, die Auslegung von Willenserklärung nach dem Empfängerhorizont und die allgemeine zivilprozessuale Beweislastregel. Daran haben auch neuere Entscheidungen der Obergerichte nichts geändert.

Das zivilprozessuale Zusammenspiel dieser 4 Grundsätze soll sicherstellen, dass wir frei miteinander reden können. Für die Einzelheiten kann auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen werden. An dieser Stelle möchte ich nur an ein paar Selbstverständlichkeiten erinnern:

1.           Selbstverständlichkeiten

Eine Diskussion funktioniert fair. Ich verzichte auf die vollständige Aufzählung störender Verhaltensweisen. Eine Diskussion funktioniert am besten gemäßigt, in Ton, Sprache wie Inhalt.

2.           Meinungsfreiheit hat kein bestimmtes inhaltliches Programm

Meinungsfreiheit ist ein Mindeststandard, um funktionierende inhaltliche Diskussionen zu ermöglichen. Für Normalbürger ist der Wortlaut von Art. 5 Grundgesetz ein guter Einstieg in das Thema: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Meines Erachtens wurde das Engagement der Europäer für Demokratie, soziale Marktwirtschaft und Menschenrechte jedenfalls missverstanden und uns ein weitergehendes inhaltliches Programm unterstellt. Die Konzepte, die EU und NATO ausmachen sind Demokratie und Menschenrechte. Schon die sozialen und wirtschaftlichen Konzepte der Staaten sind ähnlich, aber nicht identisch. Und auch einzelne Mitglieder unseres Clubs müssen sich erinnern lassen: Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

3.           Meinungsfreiheit braucht Standpunkte und Kompromisse

Einerseits muss man Standpunkte haben. Anderseits darf man nicht davon abgehalten werden, sie zu sagen. Das Zivilrecht stellt sogar ausdrücklich klar, dass Erklärungen, die durch eine Täuschung oder Drohung abgegeben wurden, unwirksam oder zumindest anfechtbar sind. Soviel ist also klar: Täuschung und Drohung sind verboten. Soviel nochmal zu Mindeststandards.

Im parlamentarischen Verfahren werden – wenn man sich nicht gerade einig ist – Kompromisse eingegangen. Auch als Grundlage dieser braucht man ehrliche Standpunkte.

Also: Sagen Sie Ihre Meinung. Wie sie es nicht tun sollten, habe ich Ihnen ja schon geschrieben. Beispielhaft mache ich einfach mal ein paar meiner Standpunkte klar.

– Ich bin für freie Rede, aber gegen Beschimpfungen anderer. Es ist Rechtsmissbrauch, wenn Sie sich eine Äußerung so zu recht legen, dass sie jemanden verletzen. Vielleicht haben Sie Glück und werden nicht erwischt, weil man Ihnen nicht in den Kopf sehen kann. Rechtmäßig wird Ihre Äußerung dadurch nicht.

– Toleranz bedeutet nicht, dafür zu sein. Toleranz ist etwas Anderes als Mögen. Dennoch bin ich nicht für die Diskriminierung von Minderheiten. Toleranz bedeutet, Andersdenkende nicht zu beschimpfen (oder sonst zu benachteiligen).

– Alle demokratischen Verfassungen sehen den Allgemeinen Gleichheitssatz („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ – Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) vor. Dennoch brauchen Dinge Zeit. In den Vereinigten Staaten besteht seit 1789 Demokratie. Das Allgemeine Wahlrecht wurde den Frauen dort erst 1920 gewährt. Ein weiteres Beispiel für einen poltischen Entwicklungsprozess ist auch das Zusammenwachsen der europäischen Staaten, insbesondere in den Vergangenen 70 Jahren. Ein Schritt nach dem anderen. Viele jüngere Demokratien haben gleich mit Allgemeinem Wahlrecht angefangen.

– Ich wünsche allen Menschen weltweit, dass Sie zu Hause in einer Demokratie und in einer sozialen Marktwirtschaft leben können. Demokratie lebt von Mitmachen und dem Raum dazu.

Dass ganz Deutschland Demokratie kann, haben wir insbesondere von 1989 bis 2019 gezeigt. Großen gesellschaftlichen Fortschritt haben wir in der Zeit der ersten Legislaturperiode der Rot-Grünen Koalition mit Gerhard Schröder erlebt. Ich halte es nicht für richtig, dass insbesondere seit September 2001 auch in einzelnen Bereichen Menschenrechte eingeschränkt wurden. Ich habe in der Schule gelernt, wie man eine freie und faire Diskussion geführt. So ist es richtig. Meinungsfreiheit dient der Diskussion. Eine Diskussion funktioniert nur ohne Beschimpfen, Beleidigen und Bedrohen.

post scriptum: Für Bürger soll dieser Beitrag ab von den rechtswissenschaftlichen Details einfache Ideen zum Sagen seiner Meinung geben. Er schließt auch daher mit der Methode des Beispiels ab. Meinungsfreiheit und Toleranz sind zentrale Teile der Ideen Demokratie und Menschenrechte. In internationaler Hinsicht mahnt er Strategie und Taktik an – ein Schritt nach dem anderen.

Ferner war mit den neuen Beschwerdeverfahren (beispielsweise nach dem NetzDG, aber auch dem vertraglichen) die Hoffnung verbunden, dass Beleidigungen und Beschimpfungen aus dem Netz verschwinden, ohne dass es zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit kommt. Der vorstehende Leitfaden dient der Fokussierung der Diskussion auf den Inhalt.

[Aktualisierte Fassung vom 20. Oktober 2022]

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