Wer meint, Versandkosten in Höhe von 4,90 Euro seien Wucher, soll dies seinem Geschäftspartner öffentlich unterstellen dürfen – so der BGH. Diese Entscheidung sollten wütende Kunden jedoch nicht als wegweisend missverstehen.
Der Fall ist schnell erzählt:
„Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten.“
Der Bundesgerichtshof hat die Klage des Verkäufers gegen die öffentliche schriftliche Anschuldigung des Käufers, die Versandkosten seien Wucher, abgewiesen:
„Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.
Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.“ (Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. September 2022, Pressemitteilung Nr. 141/2022)
Eine Einschätzung
Versichterten Paketversand bekommen Sie in einer Filiale der Deutschen Post ab 6,99 Euro für bis zu 5 kg Gewicht. Versand per Brief gibt es günstiger. Recherchen und Angaben zu weiteren Bestandteilen der Versandkosten erspare ich Ihnen. Vorliegend war jedenfalls die Höhe der Versandkosten vor Vertragsschluss angegeben.
Als Käufer wäre man nicht gut beraten, den mit der Entscheidung des BGH anscheinend gegebenen Spielraum auszunutzen. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsfreiheit beruht vor allem auf öffentlichen mündlichen Äußerungen auf politischen Veranstaltungen. Es ist zweifelhaft, ob man Wertungen aus diesem Kontext undifferenziert auf die öffentliche schriftliche Bewertung zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse übertragen sollte. Es geht bei Bewertungen auf Verkaufsseiten eben um etwas Anderes als die Rettung der Demokratie vor Extremisten. Bedurfte es vorliegend wirklich der schriftlich dauerhaften öffentlichen Anschuldigung, um seine Rechte durchzusetzen oder seine Interessen zu wahren?
Bei vertraglichen Verhältnissen verbleibt es bei der allgemeinen Beweislastregel. Selbstjustiz durch öffentliche Anprangerung ist dem europäischen Vertragsrecht fremd.